Digitalisierung über alles? Branchenspezialisten sortieren die Chancen ein.
12.05.2025
Die Digitalisierung verändert die Prozesse der Textilpflege und bringt auf allen Gebieten individuelle Lösungen hervor. Aber wieviel KI versteckt sich bereits in den Prozessen, wie viel ist wirklich notwendig und an welche Bedingungen ist sie geknüpft?
Wie KI und Automatisierung die Textilpflege verändern
Der gläserne Textilpflegebetrieb, in dem jedes Wäschestück die Geheimnisse seiner Bearbeitung preisgibt, könnte bald Wirklichkeit sein. Allerdings ist der Preis für höchste Transparenz hoch und zwischen Wunsch und Wunscherfüllung steht immer noch die Wirklichkeit. Verschiedene Spezialisten berichten hier über die Herausforderungen einer intelligenten Produktion.
Wie viel und welche Künstliche Intelligenz steckt schon heute in einer modernen Sortieranlage?
Nicolas Gostony, Head of Marketing, Jensen Group (Burgdorf, CH): Die sicherste, hygienischste und nachhaltigste Schmutzwäschesortierung erfolgt bereits mit Hilfe von Robotern und KI. Unsere Systeme sind bereits in über 150 Wäschereien weltweit im Einsatz und übernehmen auf der unreinen Seite mit Hilfe von Röntgen-Scannern und Kameras die automatische Sortierung der vom Kunden zurückgelieferten Textilien. Die Röntgen-Scanner können gefährliche Fremdobjekte wie Kugelschreiber, Nägel oder Nadeln erfassen und die betreffenden Formteile ausschleusen. Die Kamera ist wiederum in der Lage, Textilien anhand ihrer optischen Eigenschaften wie Farben, Muster, Texturen und sogar Größen zu sortieren. Damit diese ziemlich komplexen Prozesse funktionieren und unerwünschte Teile als solche erkannt werden, ist eine Software mit modernster KI notwendig. Diese muss jedoch erst einmal angelernt werden. Dazu haben wir Millionen von Bildern bzw. Farbfotografien gesammelt, in Muster segmentiert und ein neuronales Netz damit trainiert. Der Vorteil von neuronalen Netzwerken ist, dass sie Gegenstände, die sie bereits kennen, hervorragend identifizieren können. Im Betrieb müssen sie jedoch weiter trainiert werden, weshalb die Parameter nach Inbetriebnahme eines automatischen Sortierstands weiter optimiert werden. Dank des kontinuierlichen Lernprozesses der KI verbessert sich die Sortierqualität mit jeder Betriebsstunde – individuell angepasst auf die Anforderungen der Wäscherei. Das Sortierergebnis wird also mit mehr „Praxiserfahrung“ immer besser.
„Jedes Wäschestück wird zum Datenpunkt – und die KI macht daraus perfekte Sortierentscheidungen.“
In welchem Stadium der Digitalisierung befindet sich die Textilreinigung und welche Prozesse werden dadurch verbessert bzw. erleichtert?
Dirk Freitag, Geschäftsführer Multimatic, Melle: Die Textilreinigung ist noch immer stark handwerklich ausgerichtet und geprägt. Der Megatrend der Künstlichen Intelligenz und Automatisierung ist in der breiten Basis daher noch nicht angekommen. Es zeichnet sich jedoch eine massive Umwälzung ab, die mit der Entwicklung eines weltweit einheitlichen Textilstandards zusammenhängt. Für jedes Textil soll es zukünftig eine unverwechselbare und eindeutige Kennzeichnung geben, anhand derer die Automatisierung der Textilreinigung große Fortschritte machen kann. Bearbeitungsmaschinen könnten dann nämlich die an jedem Artikel angebrachten Kennzeichen selbsttätig auslesen, über KI die passenden Aufbereitungsverfahren abrufen und den entsprechenden Prozess ausführen – beispielsweise mit dem geeigneten Lösungsmittel, der richtigen Temperatur und vorgegebenen Zeit. Mittels KI lässt sich also die Entscheidung über den richtigen Reinigungsprozess verbessern und damit eventuelle Schädigungen an den Textilien signifikant vermeiden. Die Textilreinigung wird aber dennoch sehr viel Handwerk bleiben, denn die Maschinen müssen be- und entladen werden, die Ware gebügelt, ins Band gehängt und später ausgegeben werden. Insgesamt wird die Digitalisierung die Arbeit in den Betrieben aber deutlich vereinfachen.
„KI kann Reinigungsprozesse optimieren – aber das Handwerk bleibt unverzichtbar.“
Löst die Robotik die Personalprobleme einer Großwäscherei?
Martin Greif, Geschäftsführer Greif Mietwäsche, Augsburg: Der Industrie 4.0 gehört zweifelsfrei die Zukunft – und sie hat schon jetzt zweckmäßige Lösungen für unsere Branche parat. So setzen wir in unseren Betrieben bereits Künstliche Intelligenz zur Qualitätskontrolle und Robotik für das vollautomatische Vereinzeln und Falten von Frottiertüchern nach dem Trocknen ein. Dadurch können wir das Fehlen von Arbeitskräften überbrücken. Gleichzeitig werden die Prozesse durch die smarte Technik aber komplexer, was wiederum hoch spezialisiertes Expertenwissen verlangt. Um für die zunehmende Digitalisierung gerüstet sein zu können, müssen wir daher einen eigenen Techniker-Stamm aufbauen und diesen auch halten. Das entsprechende Fachpersonal ist jedoch schwerer zu finden und im Vergleich zu Produktionshelfern auch wesentlich höher bezahlt. So gesehen wird die zunehmende Digitalisierung teurer und muss ihre Versprechen noch bewahrheiten.
„Technik allein reicht nicht – wir brauchen Menschen, die sie verstehen und bedienen können.“