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Die Globalisierung der Textil- und Bekleidungsindustrie hat weitreichende soziale und ökologische Auswirkungen auf die Produktionsländer. Australien, Kanada, Kalifornien und die Europäische Kommission haben diese im Rahmen rechtlicher Bestimmungen bereits adressiert und fordern u.a. eine höhere Transparenz und Verantwortung in den Lieferketten, eine erweiterte Herstellerverantwortung oder Öko-Design für Produkte ein.
Gleichzeitig steigt weltweit das Bewusstsein für die Folgen einer durch Fast-Fashion angeheizten globalen Erwärmung. Diverse Staaten wollen diesen Konsumwahnsinn, der immer mehr Ressourcen verschlingt, u.a. durch Miet- und Recycling-Konzepte abkühlen. Dahinter steckt der Gedanke, dass durch eine möglichst lange Kreislaufführung von Textilien und eine anschließende Rückgewinnung wiederverwendbarer Fasermaterialien die ökologischen Auswirkungen der gesamten Industrie sinken. Das gestiegene Nachhaltigkeitsbewusstsein trägt bereits erste Früchte: Nationale und internationale Textilservice-Verbände (ETSA, TSA) sowie deren Mitgliedsbetriebe machen sich als Klimaretter stark und engagieren sich für eine drastische Senkung ihrer Kohlendioxid-Emissionen.
Informationslücken

Nichts geht ohne verlässliche Daten – sei es für die Umsetzung rechtlicher Vorgaben, die Berechnung eines Klimafußabdrucks oder ein effektives Textilrecycling! Welche Fasern sind drin im Textil und wo kommen sie her? Welche Verarbeitungsstufen haben sie bis zum fertigen Endprodukt durchlaufen, welche und wie viele Ressourcen wurden dabei verbraucht und mit welchen Chemikalien kamen sie dabei in Kontakt? Wie lässt sich das Teil reparieren und wie kann es recycelt werden? Wie häufig wurde es gewaschen bzw. gereinigt und getrocknet, bevor es in die Wieder- bzw. Weiterverwendung geht? Je mehr Informationen über eine Ware verfügbar sind, desto besser.
Lieferketten-Lexikon

Idealerweise sind solche Informationen direkt mit einem Artikel verknüpft und können über einen QR-Code abgerufen werden. Der von der Europäischen Union geplante digitale Produktpass sieht genau das vor: In einem strukturierten Datensatz sollen die Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen oder auch Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung für ein Produkt zusammengefasst sein. Die Daten sollen aus allen Phasen des Produktlebenszyklus stammen und für unterschiedliche Zwecke – etwa für Herstellung, Nutzung, Entsorgung - verwendet werden können.
Dieses Unterfangen klingt simpel, ist es angesichts der komplexen, weltumspannenden Wertschöpfungsketten der Textil- und Bekleidungsindustrie aber keineswegs. Trotzdem könnte die Datengenerierung einen Kick bekommen – und zwar mit Hilfe der Blockchain-Technologie.
Das Blockchain-Konzept stammt ursprünglich aus dem Bereich der Kryptowährung, um diese fälschungssicher zu machen. Das Prinzip lässt sich aber auch auf die Textil- und Bekleidungsbranche übertragen. Für jedes Teil wird dazu eine Art öffentlich zugängliche Datenbank angelegt, in der unveränderbare Datensätze hinterlegt werden. Den Anfang macht ein Ursprungsblock, an den immer neue, vorab geprüfte Datenblöcke chronologisch angehängt werden. In diesen können unterschiedlichste Informationen (z.B. Ressourcenverbrauch, Emissionen) enthalten sein. Durch diese Aneinanderreihung entsteht eine fälschungssichere Historie von Datensätzen, die unter anderem auch Nachhaltigkeitsaussagen belegen und damit einem in der EU bereits verbotenen Greenwashing entgegenwirken.
Blockchain funktioniert – bis zum Eintreffen der Wäsche in der Textilpflege

Dass die Nachverfolgbarkeit von Textilien mit Hilfe der Blockchain-Technologie funktioniert, hat bereits das von der EU geförderte Pilotprojekt TRICK bewiesen. In der Praxis ist das Konzept schon länger im Einsatz: Bereits vor 20 Jahren initiierte das Schweizer Unternehmen Product DNA den respect code für eine transparente und nachvollziehbare Lieferkette. Weitere Unternehmen, die eine Blockchain-basierte Rückverfolgbarkeitsplattform zur Dokumentation ihrer Produktions- und Lieferketten anwenden, sind der internationale Faserhersteller Lenzing sowie der deutsche Hersteller von Gastro-Kleidung, Kaya & Cato (Köln).
Transparenz über sämtliche Zyklen eines Textils kann nicht nur der Einhaltung rechtlicher Regularien dienen und Fälschungen – insbesondere von Luxusartikeln - verhindern, sondern auch für eine optimale Kreislaufbilanz eingesetzt werden. Wenn beispielsweise Wäschereien Nutzungsdaten wie die Anzahl der Waschzyklen, Reparaturen oder den Zustand des Materials erfassen, ließe sich die Lebensdauer eines Wäschestücks optimal ausschöpfen. Die gesammelten und einer Blockchain eingepflegten Informationen könnten dann zusammen mit den Alttextilien an ein Recyclingunternehmen weitergegeben werden, wodurch beispielsweise eine automatisierte Sortierung, die Auswahl einer passenden Wiederverwertungs-Methode oder das Erstellen eines Material-Pools für Recyclingfasern erleichtert wird. Diese Überlegungen gehen auf das Forschungsprojekt DiTex zurück. Das Vorhaben konnte zeigen, dass eine entsprechende, Open Data Standard-basierte Lösung grundsätzlich möglich ist. Allerdings hat dieser vielversprechende Ansatz einen gewaltigen Haken.
Datenerfassung und Warenverfolgung gehören in der Textilpflege zum Geschäft

Anders als in den vorgelagerten Stufen sind in der Textilpflege längst Auto-Identification-Technologien für die Waren- und Prozesssteuerung, die Verfahrenskontrolle und -optimierung verbreitet. Im Einsatz sind verschiedene branchenspezifische und individuelle RFID-Lösungen, die über die im Textil befindlichen Transponder jeden Produktionsschritt kontrollieren und erfassen können. Eine Anbindung an eine Blockchain-Technologie ist aufgrund der unterschiedlichen, in den Betrieben genutzten Systemen nahezu unmöglich: Es gibt keine Standard-Branchensoftware, keine standardisierten Produktstammdaten und keine standardisierten Datenaustauschformate.
Die EU hat die konfuse Informationslage erkannt und will Richtlinien für die digitale Datenerhebung in den Lieferketten der Textil- und Bekleidungsindustrie erstellen. Sie täte gut daran, an die Textilpflegebranche heranzutreten. Immerhin hat sie lange Erfahrungen mit dem Tracking von Berufs- und Arbeitskleidung, Matten, Hotelwäsche und sogar der privaten Wäsche von Pflegeheimbewohnern!