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Digitalisierungsnetz

„WLAN im Waschkeller fällt oft hinten runter“

16.06.2025

Während viele Pflegeeinrichtungen bei der Dokumentation längst digital arbeiten, fehlt im Waschkeller oft noch das WLAN.

Lesedauer: 7 Minuten

Ralph Skornia von Miele Professional erklärt, warum die Digitalisierung in Pflegeheimen ausgerechnet bei der professionellen Wäschepflege oftmals hinterherhinkt, was der Lieblingspulli der Bewohnerinnen und Bewohner damit zu tun hat und welche Rolle KI im Waschkeller künftig spielen könnte.

Miele steht seit über 125 Jahren für hochwertige Haushalts- und Gewerbetechnik. Bereits 1924 begann das Unternehmen damit, Wäschereitechnik für gewerbliche Zwecke zu bauen – der Startpunkt für Miele Professional. Heute entfällt etwa ein Fünftel des Umsatzes auf Miele Professional, zu dessen Kunden Hotels, Waschsalons, Krankenhäuser, Labore, die Pharmaindustrie, Kindergärten und Gebäudereiniger gehören. Eine der ältesten und wichtigsten Kundengruppen im Professional-Bereich sind Pflegeeinrichtungen. Ralph Skornia ist Customer Segment Manager für den Care-Bereich bei Miele Professional. Seine Aufgabe ist es, weltweit Trends in der Altenpflege zu identifizieren, um kundenspezifische Lösungen zu entwickeln. Dabei zeigt sich: Während die Digitalisierung auch in der Pflege voranschreitet, hinkt die Wäschepflege oft noch hinterher.


Herr Skornia, Sie beobachten die Digitalisierung in Pflegeeinrichtungen weltweit. Wo steht hier die professionelle Wäschepflege im Vergleich zu anderen Bereichen?

Das Thema Digitalisierung treibt gerade die ganze Branche um. Digitale Pflegedokumentation, digitale Dienstpläne, KIM-Anbindung (Kommunikation im Medizinwesen), IoT-fähige Pflegebetten, GPS-Tracker für demente Patienten und Sturzdetektoren halten zunehmend Einzug – der Pflegebereich befindet sich im digitalen Umbruch. Ein Bereich, in dem die Digitalisierung allerdings noch in den Kinderschuhen steckt, sind die hauswirtschaftlichen Prozesse in den Einrichtungen, insbesondere im Bereich der Wäscheaufbereitung.

Pflegerin betreut Patientin in einer Pflegeeinrichtung

Nehmen Sie uns mal mit in einen typischen Waschkeller einer Pflegeeinrichtung – was macht die Wäschepflege dort so herausfordernd und wo liegen die konkreten „digitalen Hürden“?

In einer Pflegeeinrichtung stehen im Schnitt zwei bis drei Waschmaschinen, die an fünf bis sechs Tagen die Wäsche von 70 bis 80 Bewohnerinnen und Bewohnern aufbereiten – das sind pro Woche etwa 700 bis 800 Kilo Wäsche. Zwar ist unser aktuelles Maschinenportfolio zu 90 Prozent vernetzungsfähig und kann digital Daten über verwendete Programme und Verbräuche zur Verfügung stellen. Aber die große Herausforderung liegt außerhalb der Maschinen: Während in vielen Pflegeeinrichtungen oben auf den Wohnbereichen Pflegedokumentation oftmals schon wie selbstverständlich digital mit dem Tablet gemacht wird, gibt es unten im Waschkeller oft nicht mal WLAN. Das heißt, die technischen Voraussetzungen für die Nutzung von Vernetzungsmöglichkeiten an unseren Geräten sind oft schlicht gar nicht gegeben. Hinzu kommt, dass es bislang keine einheitlichen Standards gibt – weder für Datennormen noch für Schnittstellen oder Konfigurationen. Da ist alles offen und jede Einrichtung arbeitet bei der Integration digitaler Services individuell für sich. Es ist noch ein relativer Wilder Westen, um es mal so zu formulieren.


Gibt es Miele-Projekte, die bereits gut „digital funktionieren“?

Ein gutes Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit der Lindhorst-Gruppe, einem Pflegeheimbetreiber mit über 30 Einrichtungen. In dem Projekt haben wir unser digitales Workflow-Management-System Miele MOVE Clean+ eingeführt. Es standardisiert und optimiert die Reinigungsprozesse in Pflegeeinrichtungen und macht unter anderem die Performance der einzelnen Einrichtungen untereinander vergleichbar. Das hilft dem Management zu erkennen, welche Einrichtungen bereits effizient arbeiten und wo es noch Potenzial gibt. In einem weiteren Projekt, über das ich noch nicht so viele Details preisgeben‚ kann, ist es uns gelungen, durch die Erhebung von Daten zu Wäschemenge, Gewicht und Programmstruktur Modelle zu entwickeln. Auf deren Basis konnten wir die Wäschereizeiten von sieben auf vier Tage reduzieren – und das bei gleichem Wäscherei-Output und ohne Einschränkung des Service für die Bewohnerinnen und Bewohner.

Statistiken auf einem Tablet

Miele MOVE Clean+ ist in 18 Sprachen verfügbar. Wie verändert die Digitalisierung die Zusammenarbeit in internationalen Reinigungs- und Wäschereiteams?

Maschinen mit neuester Steuerung und modernen Bedienoberflächen ermöglichen es, die Sprachbarriere zu umgehen, weil unterschiedliche Sprachen angezeigt werden können. Die Digitalisierung hilft hier, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus zu integrieren und erleichtert auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern die Arbeit. Gerade weil es keine Standards gibt, haben es Letztere oft schwer, da sie häufig ohne Vorwissen im Bereich der Wäschepflege sind.


Worin unterscheidet sich die Digitalisierung in der Pflege von der in anderen Bereichen? 

Der Waschprozess im Care-Bereich unterscheidet sich grundlegend von professionellen Waschstraßen mit Tunneln, Transportbändern und automatisierten Waschmaschinen. In Pflegeeinrichtungen läuft vieles noch manuell ab: Die Wäsche wird händisch sortiert und gelegt, dann erfolgt die manuelle Kommissionierung. Es sind unheimlich viele kleine Schritte, die alle gemacht werden müssen und die den Prozess sehr komplex machen. Und dann sprechen wir über Bewohnerwäsche, einen der komplexesten Wäscheposten überhaupt. Bewohnerwäsche kann eine Seidenbluse, ein Wollpullover, ein Hemd oder eine Jogginghose sein – und das alles in unterschiedlichen Farben, Qualitäten und mit individuellen Pflegeanforderungen. All das ordentlich aufzubereiten, ist eine große Kunst. Zwar geben viele Pflegeheime größere Wäscheposten wie Handtücher oder Bettwäsche an externe Partner ab, die Aufbereitung der Bewohnerwäsche bleibt jedoch häufig im Haus, da sie den Bewohnerinnen und Bewohnern sehr wichtig ist, weil Emotionen und Erinnerungen damit verbunden sind. Bewohnerwäsche ist also sehr oft auch ein Stück Lebensqualität. 

Virtuelle Tablets

Vor welchen strukturellen Herausforderungen stehen Pflegeeinrichtungen beim Thema Digitalisierung? 

Es ist oft eine Frage der Prioritäten, zudem gibt es auch eine gewisse Zurückhaltung. In den Einrichtungen konzentriert man sich logischerweise erst einmal auf die Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner – das ist immerhin das Kerngeschäft. Es gibt aber auch gehörigen Druck in Sachen Digitalisierung: Vorgaben wie KIM, an das Pflegeheime angebunden sein müssen, die elektronische Patientenakte und E-Rezepte – all das setzt eine funktionierende digitale Infrastruktur voraus. Da herrscht alles in allem eine große digitale Dynamik, der Heimbetreiber gerecht werden müssen. Hinzu kommt das Thema Dokumentation: Wenn Sie mit Pflegekräften digitalisieren, die bisher mit Papier und Klemmbrett gearbeitet haben, ist die Umstellung auf eine digitale Pflegedokumentation sehr ressourcen- und schulungsintensiv. In diesem Prozess fallen dann andere Themen oft hinten runter, zumal die Pflege bekanntlich unter einem enormen Kostendruck steht. Da überlegt man sich eben: Wofür brauche ich eigentlich WLAN im Waschkeller? Das gilt vor allem für Bestandsbauten. Bei Neubauten ist das inzwischen anders, da gibt es oft eine WLAN-Abdeckung im gesamten Haus – allein schon, weil die Bewohnerinnen und Bewohner selbst einen höheren Bedarf an WLAN haben. 


Stichwort Künstliche Intelligenz: Setzt Miele Professional bereits KI ein? Wenn ja, wofür? 

Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema. Gerade für das Interpretieren von Maschinendaten ist KI ein wichtiges Handlungsfeld, also für die Frage: Wie kann ich aus gesammelten Maschinendaten Handlungsempfehlungen ableiten? KI kann genutzt werden, um große Datenmengen zu interpretieren und Prozesse zu optimieren – Stichwort Big Data. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist es wichtig zu fragen: Wie effizient bin ich in meinen Prozessen? Werden meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtig eingesetzt? Wo kann man besser werden? Dafür braucht es zunächst eine gewisse Datenlage. Das Thema Benchmarking und Standardisierung ist besonders für Betreiber mehrerer Einrichtungen wichtig, auch im Bereich Wäschepflege. Im Management wächst das Bewusstsein, dass auch hier mehr Transparenz nötig ist. Zu berücksichtigen sind hier aber auch datenschutzrechtliche Aspekte, denn solche Systeme sollen die Beschäftigten ja nicht kontrollieren.

Cybersicherheit

Welche Rolle spielt das Thema Cybersicherheit bei der Vernetzung und Digitalisierung im Care-Bereich? Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie beim Datenschutz?

Das ist ein sehr wichtiges Thema. Grundsätzlich fallen alle personenbezogenen Daten unter die DSGVO und gehören den Einrichtungen bzw. den Bewohnerinnen und Bewohnern. Wir sammeln über unsere Maschinen generell keine personenbezogenen, sondern ausschließlich prozessbezogene Daten, also Informationen zu Waschprogrammen, Fehlermeldungen, Temperaturkurven, Verbräuchen – eben alles, was die Maschine leistet. Wir erheben keine Daten, die sich direkt auf Personen zurückführen lassen. Ein weiterer Punkt: Die Daten gehören zuallererst den Kunden. Wenn wir Daten aus unseren Maschinen auswerten wollen, geht das nur mit schriftlicher Zustimmung unserer Kunden. Sagt ein Kunde nein, dann erhalten wir die Daten aus unseren Maschinen nicht – das ist für uns auch in Ordnung. Oft wird auch die Frage gestellt, wo die Daten gespeichert werden. Liegt die Cloud in Europa, in den USA oder in China? Wir haben deshalb auch eigene Cloud-Lösungen für Europa entwickelt.


Für Pflegeeinrichtungen gelten auch im Bereich der Wäschepflege strenge Hygiene- und Dokumentationsvorschriften. Wie können digitale Technologien hier unterstützen?

Die Maschine kann mittlerweile alles speichern und ausgeben. Über Miele MOVE Connect haben wir Informationen zu Programmabläufen oder zur Dokumentation von durchgelaufenen und abgebrochenen Waschgängen. Gerade im Infektionsfall, wenn zum Beispiel ein Norovirus ausbricht, müssen bestimmte RKI-Programme laufen. Diese wurden nach Vorgaben des Robert-Koch Instituts entwickelt und beinhalten spezifische Temperaturniveaus und Haltezeiten. Darüber hinaus gibt es spezielle Programme für Fäkalwäsche, die mechanische und desinfizierende Leistungen erbringen. Das Dokumentieren auf Papier wird durch digitale Alternativen zunehmend überflüssig.

Weiße Handtücher mit einem Schild auf dem ein Recyclingsymbol abgebildet ist

Wie kann die Digitalisierung dazu beitragen, die Wäschepflege nachhaltiger zu machen?

Unsere neuesten Geräte sind mit Sensoren ausgestattet, die den Ressourcenverbrauch an das jeweilige Beladevolumen anpassen. In Wäschereien sind die laufenden Verbrauchskosten vor dem Hintergrund gestiegener Energiepreise natürlich ein Riesenthema. Wenn eine intelligente Maschine das Gewicht ermittelt und den Wasser- und Stromverbrauch individuell anpasst, ist das ein großer Hebel zur Entlastung. Die Wäscherei- oder Hauswirtschaftsleitung kann sich außerdem eine Dokumentation zur Struktur der Wäscheverteilung erstellen lassen. Welche Wäscheposten hatte ich denn eigentlich pro Tag? Diese Information kann ich mir per Dashboard am Rechner oder auf dem Tablet anzeigen lassen. 


Wie schätzen Sie das Potenzial von „Smart Textiles“ in der Pflege ein?

„Smart Textiles“ sind grundsätzlich interessant, vor allem für Volumenartikel wie Frottee und Bettwäsche. Bei individueller Bewohnerwäsche spielen sie aktuell noch eine untergeordnete Rolle. Der nächste Schritt wäre, digitale Informationen im Textil zu haben, etwa zu Herstellerangaben, sodass man weiß: Wo kommt es her, was ist das Material, wie alt ist es. Diese Daten könnte man nutzen, um die Sortierung der Bewohnerkleidung deutlich zu vereinfachen. Dann wüsste ich genau: Das ist Baumwolle, das ist das passende Programm. Das ist aber noch Zukunftsmusik.

Robotorhand und Menschliche Hand berühren sich

Wenn Sie frei denken – wo sehen Sie die Zukunft der Wäschepflege in Pflegeinrichtungen?

Das Ziel könnte eine Waschmaschine sein, die man nur noch belädt und die selbstständig das passende Programm für die jeweilige Wäsche auswählt. Was die Automatisierung angeht, wird dieses Thema kurzfristig deutlich relevanter werden, wenn man sich überlegt, was durch Robotik mittlerweile möglich ist. Es geht dabei um das Beladen und Entladen der Maschinen, das Sortieren und das Transportgeschehen. Was im Großen bei Industriewäschereien funktioniert, wird auch auf kleine Einrichtungen übertragen werden. Der Roboter hätte eine Kamera und würde beispielsweise erkennen: Das ist der Lieblingspulli von Frau Müller aus diesem und jenem Gewebe, der so und so gewaschen werden muss. Die Frage ist hier nicht mehr, ob, sondern wann das passiert – und bei Miele wollen wir die Ersten sein, die passende Lösungen dafür anbieten.


Herr Skornia, vielen Dank für das Gespräch.

Ralph Skornia

Ralph Skornia

Customer Segment Manager

Ralph Skornia arbeitet als Customer Segment Manager für den Care-Bereich bei Miele Professional.