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„Wäscherei, hä?“ – Wie eine Schnupperwoche alles veränderte

10.12.2025

„Wäscherei, hä?“ – so dachte Andrea Sanchez mit 16. Heute ist sie stellvertretende Produktionsleiterin und sagt: „Die Textilpflege bietet mehr Chancen, als viele denken“. Eine Geschichte über Zufälle, Zweifel und eine unerwartete Karriere in der Textilpflege.

Lesedauer: 7 Minuten

Auf dem Fußballplatz ist es wie in der Wäscherei – ohne Teamgeist läuft nichts“, sagt Andrea Sanchez (im blauen Trikot), die beim Schweizer Verein FC Widnau in der 2. Liga spielt  (Quelle: FC Widnau)
Auf dem Fußballplatz ist es wie in der Wäscherei – ohne Teamgeist läuft nichts“, sagt Andrea Sanchez (im blauen Trikot), die beim Schweizer Verein FC Widnau in der 2. Liga spielt (Quelle: FC Widnau)

„Lehre? Ich hatte keine Ahnung, was das ist.“ Andrea Sanchez ist 13 Jahre alt, als sie aus Spanien in die Schweiz kommt. Eigentlich will sie nach der Schule eine Lehre zur Bürokauffrau machen. „Dafür war mein Deutsch aber zu schlecht“, sagt sie. Weil sie nicht weiß, was sie sonst machen soll, sucht sie einen Berufsberater auf. Der kennt zufällig den Betriebsleiter der Zentralwäscherei in Chur, die Krankenhäuser, Kliniken und Pflegeheime mit sauberer Wäsche versorgt. Also schlägt er Sanchez vor, dort einfach mal reinzuschnuppern. „Ich dachte nur: ‚Wäscherei, hä?‘ Ich konnte mir überhaupt nichts darunter vorstellen“, erinnert sie sich. Auch ihre Mutter ist zunächst skeptisch. „Sie dachte sich: ‚Ist das nicht zu wenig für meine Tochter? Kann sie nicht mehr aus sich rausholen?‘“, erzählt Sanchez und lacht. Doch dann denkt sich die sportbegeisterte Fußballerin, die beim FC Widnau in der zweiten Liga im offensiven Mittelfeld kickt: „Vielleicht macht was Aktives in einer Wäscherei ja sogar Spaß?“ Kurz darauf startet sie eine Schnupperwoche bei der Zentralwäscherei – und die verändert alles.

„Es ging was ab!“

„Es hat mir vom ersten Tag an total gefallen!“, sagt Sanchez. Sie ist sofort begeistert von der Mischung aus Bewegung, Organisation und Qualitätsanspruch. Auch beeindruckt sie die Internationalität im Team. „Da wurde nicht nur Hochdeutsch und Schweizerdeutsch gesprochen, sondern auch Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch.“ Zwar muss sie von Anfang an richtig mitmachen, hat aber trotzdem nicht das Gefühl, „nur zu arbeiten“. Im Gegenteil: „Die Stimmung war gut, es war nie langweilig“, sagt sie. Und ergänzt nach einer kurzen Pause: „Es ging was ab!“ Die Dynamik in der Zentralwäscherei gefällt ihr so gut, dass sie gleich nach der Schnupperwoche den Berufsberater kontaktiert und ihm sagt, dass sie dort eine Ausbildung machen will. „Ich war mir nicht sicher, ob sie mich nehmen, weil ich die Sprache noch nicht so gut konnte“, erinnert sie sich. Doch sie bekommt die Zusage – und beginnt kurz darauf ihre Ausbildung zur Fachfrau Textilpflege EFZ.

Gemeinsam gegen die Sprachbarriere

Einmal pro Woche pendelt sie nun für drei Jahre zur Berufsschule nach Zürich, wo sie vormittags Allgemeinbildung und nachmittags Fachunterricht hat. Sie lernt, wie eine Waschstraße aufgebaut ist, wie man Wäsche nach Waschprogramm, Textilart, Farbe und Kunden sortiert und welche technischen Abläufe hier ineinandergreifen. „Zuerst dachte ich, in einer Wäscherei steht man an einer Maschine, drückt auf einen Knopf und das war’s“, erzählt Sanchez. „Dass so viel mehr dahintersteckt, hat mich überrascht.“ Zwar wird ihr in der Berufsschule alles geduldig erklärt, doch gerade am Anfang ist die Sprache eine echte Hürde. Sie kann zwar Hochdeutsch, doch viele Lehrinhalte sind auf Schweizerdeutsch – und das versteht sie damals noch nicht so gut. Unterstützung kommt von einer Mitschülerin. „Ich bin ihr bis heute unglaublich dankbar, dass sie mir geholfen hat“, sagt Sanchez.

Auch mal Fehler machen dürfen

Parallel zur Berufsschule durchläuft sie in der Zentralwäscherei alle wichtigen Stationen – von der Anlieferung und Sortierung der Schmutzwäsche über die Waschtaktstraßen und Tumbler bis zur sauberen Seite mit der Frottee-Faltmaschine, dem Tunnelfinisher und der Mangelstraße. Sie darf auch Fehler machen, ohne dass gleich ein Drama daraus gemacht wird. „Es war nicht so schlimm – man hat dann versucht, es beim nächsten Mal besser zu machen.“ Besonders in Erinnerung bleibt ihr die geduldige Unterstützung durch den damaligen Betriebsleiter der Zentralwäscherei. „Er ist mit mir durch die Wäscherei gelaufen, hat mir alles in Ruhe gezeigt und erklärt“, erzählt sie. Um ihren Lernfortschritt zu testen, gibt er ihr auch Aufgaben. „Wenn jemand von uns Lehrlingen nicht gelernt hatte, war er immer ein bisschen ärgerlich“, sagt Sanchez und lacht. „Aber das hat mich motiviert, am Ball zu bleiben.“ Zumal sie auch Lob kriegt: „Man hat mir zum Beispiel gesagt: ‚Du machst das super!‘“

Sinnkrise im zweiten Lehrjahr

Trotz dieser Unterstützung gerät Sanchez im zweiten Lehrjahr in eine Sinnkrise. Sie erlebt, was viele junge Menschen erleben, nachdem sie sich für eine Ausbildung oder ein Studium entschieden haben: Zweifel. „Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass die Textilpflege vielleicht doch nicht das Richtige für mich ist“, sagt sie. „Ich habe mich gefragt: ‚Verschwende ich mein Potenzial?‘.“ Zwar geht sie weiter zur Arbeit in die Zentralwäscherei, schwänzt aber ein paar Mal die Berufsschule. Als ihr Berufsberater und ihr Betriebsleiter das mitbekommen, suchen sie das Gespräch mit der jungen Auszubildenden. Sie zeigen Verständnis, machen ihr Mut und erklären ihr die Weiterbildungs- und Karrierewege, die ihr nach der Ausbildung offenstehen. „In dem Moment hat es Klick gemacht“, erinnert sich Sanchez. Das Gespräch habe ihr außerdem gezeigt: „Mit Kommunikation kannst du alles schaffen.“

Erste Schweizmeisterin in der Textilpflege

Andrea Sanchez
„Die Zeit war brutal knapp“ – Beim Wettkampf um den Titel der ersten Schweizer Meisterin in der Textilpflege brauchte Andrea Sanchez volle Konzentration (Quelle: VTS)
„Die Zeit war brutal knapp“ – Beim Wettkampf um den Titel der ersten Schweizer Meisterin in der Textilpflege brauchte Andrea Sanchez volle Konzentration (Quelle: VTS)
„Die Zeit war brutal knapp“ – Beim Wettkampf um den Titel der ersten Schweizer Meisterin in der Textilpflege brauchte Andrea Sanchez volle Konzentration (Quelle: VTS)
Goldmoment: Andrea Sanchez (Mitte) nach ihrem Sieg bei den ersten Schweizer Meisterschaften in der Textilpflege (Quelle: Stefan Wermuth)
Goldmoment: Andrea Sanchez (Mitte) nach ihrem Sieg bei den ersten Schweizer Meisterschaften in der Textilpflege (Quelle: Stefan Wermuth)

In ihrem letzten Lehrjahr hat ihr Ausbildungsleiter eine Idee: Sanchez soll 2018 bei den Meisterschaften in der Textilpflege antreten, die der Schweizer Textilpflege-Verband VTS organisiert. Der Wettbewerb findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt und wird seitdem zweijährlich im Rahmen der SwissSkills, dem größten Berufs- und Nachwuchs-Event der Schweiz, ausgetragen. Hier treten angehende Textilreinigerinnen und Textilreiniger vor Publikum gegeneinander an und müssen zeigen, was sie in Sachen Textilpflege draufhaben. Sie bügeln und falten Hemden, Berufsmäntel oder Kochjacken, erstellen Waschprogramme für verschiedene Flecken, bauen ein Chemikalienlager auf, führen improvisierte Verkaufsgespräche und ordnen Pflegesymbole richtig zu – all das unter Zeitdruck. „Das war keine Show, sondern wie eine echte Prüfung“, erinnert sich Sanchez. „Die Zeit war brutal knapp.“ Im Publikum sitzen auch Lehrkräfte von Sanchez‘ Berufsschule, ebenso Kunden und Lieferanten von der Zentralwäscherei. „Du musst dich da jetzt voll reinhängen“, spricht sie sich damals Mut zu. Sie bewahrt die Nerven, holt den ersten Platz und wird damit die erste Siegerin der Schweizer Meisterschaft in der Textilpflege. „Das war eine riesige Anerkennung und für mich der Beweis, dass sich Einsatz, Disziplin und Interesse auszahlen“, sagt Sanchez heute.

Mit 19 Leiterin des Waschhauses

Andrea Sanchez Murcia (27), Abteilungsleiterin und stellvertretende Produktionsleiterin bei der Fix AG in Liechtenstein (Quelle: Fix AG)
Andrea Sanchez Murcia (27), Abteilungsleiterin und stellvertretende Produktionsleiterin bei der Fix AG in Liechtenstein (Quelle: Fix AG)

2018 schließt sie ihre Ausbildung ab und übernimmt direkt die Leitung des Waschhauses in der Zentralwäscherei. Mit gerade einmal 19 Jahren ist sie nun eine Führungskraft und trägt Personalverantwortung für ein Team von sechs Leuten. Ein Erlebnis aus dieser Zeit hat sich ihr ganz besonders eingeprägt: Eines Tages fängt ein junger Mann aus Afghanistan in der Zentralwäscherei an. Er tut sich anfangs schwer mit den Abläufen in einer Wäscherei. Einige Kollegen halten ihn für einen hoffnungslosen Fall. Sanchez aber glaubt an ihn. „Wenn ich bei jemandem Potenzial erkenne, gebe ich ihm eine Chance, auch wenn es nicht gleich rund läuft.“ Sie macht es wie ihr ehemaliger Ausbilder: Sie kommuniziert klar, was zu tun ist, bleibt bei Fragen ansprechbar und bewahrt Geduld. Der junge Mann erwidert das in ihn gesetzte Vertrauen: Er setzt um, was er von Sanchez lernt, wird später ihr Stellvertreter und ist heute sogar selbst Abteilungsleiter des Waschhauses. „Eine Textilreinigung ist wie eine große Kette“, sagt Sanchez. „Bricht sie irgendwo, stimmt der ganze Ablauf nicht mehr. Deshalb ist Kommunikation in einer Wäscherei alles.“

Die Fachkräfte der Zukunft sind schon im Betrieb

Wo alles begann: In der Zentralwäscherei Chur entdeckte Andrea Sanchez während einer Schnupperwoche ihre Leidenschaft für die Textilpflege (Quelle: Zentralwäscherei Chur)
Wo alles begann: In der Zentralwäscherei Chur entdeckte Andrea Sanchez während einer Schnupperwoche ihre Leidenschaft für die Textilpflege (Quelle: Zentralwäscherei Chur)

Als Sanchez 2022 eine neue berufliche Chance bekommt, ergreift sie diese: Sie wechselt zur Wäscherei Fix AG in Balzers (Liechtenstein) und übernimmt dort kurz darauf die stellvertretende Leitung der Textilreinigung. Schon nach kurzer Zeit im neuen Betrieb fällt ihr auf, dass dort schon länger keine Fachkräfte mehr ausgebildet wurden. Das will sie ändern. Also schlägt sie der Geschäftsführung vor, wieder Lehrlinge aufzunehmen. „Fachkräfte gewinnt man am besten, indem man sie selbst ausbildet“, sagt sie. Ihre Initiative überzeugt – kurz darauf starten zwei junge Leute ihre Ausbildung. Das Besondere: Beide sind Verwandte von Mitarbeitenden. Für Sanchez ist das kein Zufall, sondern ein bewährtes Erfolgsrezept: Als sie noch bei der Zentralwäscherei Chur arbeitet, fängt auch ihre Mutter, die anfangs skeptisch gegenüber der Textilpflege war, dort an und kontrolliert viele Jahre lang die Wäsche an der Mangelstraße. Auch ihr Vater und ihr Bruder arbeiten zeitweise dort. „Die eigene Belegschaft ist der ideale Ort, um nach künftigen Fachkräften zu suchen“, ist Sanchez überzeugt. Viele Mitarbeitende hätten Kinder, Enkel, Nichten oder Neffen, die noch nicht wüssten, welchen Beruf sie wählen sollen. „Oft haben auch Nachbarn oder Bekannte Kinder, die noch keine Idee für ihre berufliche Zukunft haben – auch sie könnte man für die Textilpflege begeistern.“

Ungelerntes Personal als Potenzial

Ein weiterer Weg, um Fachkräfte zu entwickeln, der laut Sanchez oft noch unterschätzt wird, führt über die Menschen, die bereits in den Wäschereien arbeiten. „Viele kommen nur für einen Übergangsjob und ziehen nach kurzer Zeit wieder weiter, ohne zu wissen, welche Ausbildungsmöglichkeiten es hier für sie gibt“, sagt Sanchez. Gerade Beschäftigte aus dem Ausland wüssten häufig gar nicht, welche Karrierewege ihnen in Wäschereien offenstehen. „In Spanien zum Beispiel gibt es gar keine Ausbildung zur Fachfrau oder zum Fachmann Textilpflege“, so Sanchez. Für sie liegt hier enormes Potenzial. „Die meisten Menschen wollen sich ja weiterentwickeln – und in der Textilpflege geht das oft viel schneller als in anderen Branchen.“ Für sie steht fest: Betriebe sollten gezielt auf ungelernte Mitarbeitende zugehen, sie informieren und ermutigen, eine Ausbildung oder Weiterbildung zu machen. „Alle in der Textilpflege wissen, wie schwierig es ist, gelernte Fachkräfte zu finden, aber viele Betriebe wissen nicht, dass sie diese oft schon in den eigenen Reihen haben.“

„Wenn du in der Textilpflege stehenbleibst, dann nur, weil du es willst“

Andrea Sanchez Murcia (27), Abteilungsleiterin und stellvertretende Produktionsleiterin bei der Fix AG in Liechtenstein (Quelle: Fix AG)
Andrea Sanchez Murcia (27), Abteilungsleiterin und stellvertretende Produktionsleiterin bei der Fix AG in Liechtenstein (Quelle: Fix AG)

Und was ist mit der Nachwuchsgewinnung über Social Media? Sanchez überlegt. „Social Media kann man nutzen, aber ich finde, da kommt unsere Branche nicht so gut an wie andere.“ Viel wirkungsvoller ist aus ihrer Sicht der direkte Kontakt. „Unsere Branche funktioniert am besten, wenn Menschen sie selbst erleben können“, sagt sie. Deshalb hält sie Berufs- und Ausbildungsmessen, Berufsberatungen und Betriebsführungen für die besseren Brücken in die Textilpflege. „Wenn Jugendliche die Gelegenheit kriegen, in eine Wäscherei reinzuschnuppern, könnten wir sie für die Branche gewinnen“, sagt Sanchez. So wie bei ihr selbst, als eine einzige Schnupperwoche ihr gesamtes Berufsleben veränderte. Und das Ende dieser Reise ist noch lange nicht erreicht: Die heute 27-Jährige ist gerade stellvertretende Produktionsleiterin bei der AG, macht außerdem eine Weiterbildung in Unternehmungsführung. „Vielleicht leite ich eines Tages meinen eigenen Betrieb“, sagt sie. Sanchez ist fest davon überzeugt, dass die Textilpflege jungen Menschen viele Chancen bietet, sich nach ihren eigenen Wünschen weiterzuentwickeln. „Wenn du in der Textilpflege stehenbleibst, dann nur, weil du es so willst – aber nicht, weil es die Möglichkeiten nicht gibt.“

Zentralwäscherei Chur AG

Die Zentralwäscherei Chur AG (ZWC) ist ein Wäscherei- und Textilreinigungsbetrieb im Südosten der Schweiz in Chur. Seit ihrer Gründung im Jahr 1975 verarbeitet die ZWC mit heute über 65 Mitarbeitenden täglich bis zu 13 Tonnen Wäsche für das Gesundheitswesen, die Gastronomie, Industrie sowie Privatkunden. Im Jahr 2023 erfolgte die Umwandlung von einer Genossenschaft zu einer Aktiengesellschaft.

Fix AG

Die Fix AG mit Sitz in Balzers ist ein familiengeführter Textilservice- und Wäschereibetrieb, der seit seiner Gründung 1958 Kunden in Liechtenstein und der Region betreut. Das Unternehmen mit über 100 Mitarbeitenden bietet Mietwäsche, Berufsbekleidung sowie Wäsche- und Textilpflege für Hotels, Gastronomie, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Täglich verarbeitet die Fix AG rund 30 Tonnen an Wäsche.