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Als Tim Bartikowski noch zur Schule geht, hat er keine Ahnung, was er später mal werden will. „Wie das so ist mit 15: Alles zählt mehr als Schule und Abschluss“, sagt er rückblickend und lacht. Wie viele in diesem Alter, so der heute 31-Jährige, sei er damals „eher planlos“ durchs Leben gelaufen. Entsprechend schlecht fällt sein Zeugnis aus. Nach der Hauptschule will er erst mal eine Lehre machen, findet aber keinen Ausbildungsberuf, der ihm gefällt. Um Geld zu verdienen, bewirbt er sich 2014 bei einer Zeitarbeitsfirma. Dort sagt man ihm: „Geh am Montag mal zu Marwitz, die suchen immer Leute.“ Die Wäscherei W. Marwitz Textilpflege in Lüneburg ist in der Region bekannt – sie ist Teil des DBL-Verbundes und ein großer Textildienstleister in Norddeutschland.
„Textilreiniger? Klingt jetzt nicht so spannend“
Bei Marwitz stellt man ihn zunächst an die Waschstraße, wo er Kopfkissenbezüge, Laken und Bettbezüge zur Mangel fährt. „Dabei habe ich mich wohl gar nicht so blöd angestellt“, sagt er. Denn schon nach kurzer Zeit spricht ihn der damalige Betriebsleiter bei Marwitz an, fragt ihn, ob er nicht eine Lehre im Betrieb machen will. Zwei Ausbildungsoptionen legt man ihm auf den Tisch: Maschinen-/Anlagenführer oder Textilreiniger. Bartikowski erinnert sich: „Ich weiß noch, wie ich in dem Moment dachte: ‚Textilreiniger? Klingt jetzt nicht so spannend.‘“ Gleichzeitig fühlt er sich da aber schon wohl bei Marwitz. Weil er inzwischen auch weiß, wie viel Anlagentechnik in einer modernen Wäscherei steckt, fragt er sich: „Klingt vielleicht nur der Berufsname ‚Textilreiniger‘ langweilig? Steckt mehr dahinter?“ Also gibt er sich einen Ruck: „Komm, das machst du jetzt!“ Wenn er heute an diesen Moment zurückdenkt, ist er sich sicher: „Hätte ich nicht vorher schon bei Marwitz gearbeitet und gewusst, wie es in einer Wäscherei aussieht, hätte mich Textilreiniger nicht interessiert.“
 
        Ausbildung: Von „nicht so spannend“ zu „cool!“
2015 startet er seine Ausbildung. Für die nächsten drei Jahre heißt das für ihn: vier Tage pro Woche in der Wäscherei, einen Tag Blockunterricht. Diesen absolviert er an der Anna-Siemsen-Schule in Hannover – einer von nur noch fünf Berufsschulen in Deutschland für den Ausbildungsberuf Textilreiniger/in. Jeden Dienstag steigt er um sechs Uhr früh in den Zug, fährt eineinhalb Stunden nach Hannover und ist abends gegen 17.30 Uhr zurück. „Das war der längste Tag in der Woche“, erinnert sich Bartikowski. Seine anfängliche Skepsis gegenüber der Textilreiniger-Ausbildung bekommt dabei früh erste Risse: „Ich war überrascht, wie viele Berufsfelder da drinstecken.“
Da ist zum Beispiel Chemie: Er lernt, woraus Waschmittel bestehen und wie sie wirken. Auch Physik spielt eine Rolle, denn er muss wissen, was im Inneren einer Waschanlage passiert und wie Wasser, Heizen und Dampf zusammenspielen. Im Fach Faserkunde wird ihm vermittelt, wie sich unterschiedliche Textilfasern wie Baumwolle, Polyester und Mischgewebe in verschiedenen Medien verhalten. Logistik steht ebenfalls auf dem Lehrplan, denn eine exakte Tourenplanung ist wichtig, damit die gereinigten Textilien wieder pünktlich beim Kunden sind. Er muss auch moderne Sortiertechnik verstehen. „Ich bin kein IT-Spezialist, aber man muss schon ungefähr wissen, wie Wäsche anhand welcher Daten sortiert wird“, erklärt Bartikowski. Plötzlich merkt er: Hinter dem Beruf steckt mehr, als man zunächst denkt. „Ja, es ist Wäsche waschen – aber in groß und in cool!“
Volle Unterstützung bei der Meisterausbildung
2018 schließt er seine Ausbildung als Geselle ab. Marwitz überträgt ihm jetzt immer mehr Verantwortung, macht ihn zum Teamleiter im Waschhaus und zum Assistenten der Betriebsleitung. Zu dem Zeitpunkt weiß man im Unternehmen bereits, dass der Betriebsleiter, der Bartikowski für die Ausbildung zum Textilreiniger begeistern konnte, bald in Rente geht. Seine Nachfolge sieht man in Bartikowski. Also setzt sich die Geschäftsführung mit ihm zusammen und beschließt mit ihm, dass er noch den Meister macht, um kaufmännische und betriebswirtschaftliche Aspekte zu vertiefen.
Die Meisterausbildung startet Anfang 2020 und findet laut Bartikowski „überall und nirgends“ statt. Er absolviert die einzelnen Teile – kaufmännischer Teil, Ausbildereignung, Fachpraxis und Fachtheorie – in drei verschiedenen Städten. Marwitz unterstützt seinen künftigen Betriebsleiter in dieser Zeit nach Kräften, stellt ihn für die Meisterausbildung im Prinzip frei und zahlt ihm trotzdem wie gewohnt sein Gehalt. „Statt zur Arbeit bin ich damals zu den Meisterkursen gefahren“, sagt Bartikowski. Auch die Übernachtungs- und Reisekosten übernimmt der Betrieb. Selbst dann, als Bartikowski für fast drei Monate in einem Hotel in Frankfurt am Main wohnt, wo er an der Schule für Bekleidung und Mode den fachtheoretischen und fachpraktischen Teil seiner Meisterausbildung macht. „Ich weiß, dass nicht jeder Betrieb solche Möglichkeiten hat, aber ich bin froh und dankbar, dass man mir damals das Gefühl gegeben hat: ‚Konzentrier du dich auf den Meister und zieh das in einem Stück ohne Abendschule durch‘“, erzählt Bartikowski. Nach einem Jahr macht er 2021 seinen Meisterabschluss und übernimmt kurz darauf wie geplant den Posten des Betriebsleiters.
Kein Tag wie der andere
 
        Was ihn heute an seinem Arbeitsalltag am meisten begeistert? „Ganz klar die Vielseitigkeit! Jeden Tag prasseln gefühlt 5.000 Dinge auf dich ein, in die du dich reinfuchsen kannst“, schwärmt er – und zählt auf: Waschmaschinen einstellen, Waschprogramme (fast 40!) überwachen, administrative Abläufe organisieren und den optimalen Weg von bis zu 80.000 Wäscheteilen pro Tag von A nach B planen, Mails von Kollegen und Kunden beantworten, die Personalplanung für 60 Leute koordinieren, Gefahrstoffschulungen durchführen, an Reklamationssitzungen teilnehmen und, und, und.
Bartikowski ist auch Ansprechpartner für Dinge, die gar nichts mit Wäsche zu tun haben: „Manchmal kommen Leute mit privaten Fragen und es gibt auch mal den einen oder anderen Streit zu schlichten. Aber das gibt es ja überall, wo Menschen zusammenarbeiten“, sagt er pragmatisch.
„Viele sind in die Waschmaschine reingeboren“
Auf die Frage, was er Betrieben, die händeringend Nachwuchs suchen, vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen raten würde, antwortet er ehrlich: „Ich weiß es nicht.“ Nach einer kurzen Pause ergänzt er: „Aus meiner Sicht gibt es eigentlich nur zwei Wege in die Textilpflege: Entweder man stolpert wie ich zufällig rein oder man will eines Tages den Betrieb von den Eltern übernehmen.“ In der Textilpflege arbeiteten viele, die, wie Bartikowski es nennt, „in die Waschmaschine reingeboren sind“. Dass jemand eine Stellanzeige „Textilreiniger/in“ sieht und sich denkt „Wow, darauf bewerbe ich mich“, habe er persönlich noch nie erlebt. Er sagt: „Viele wissen nicht, was sich hinter dem Namen verbirgt – Wäscherei klingt ja nicht unbedingt sexy, wenn man es auf dem Papier liest.“
„Also ein Waschweib?“
Das Imageproblem kennt er nur allzu gut: Als er einmal in einem Gespräch mit Handwerkern erwähnt, dass er gelernter Textilreiniger ist, kommt ein derber Spruch: „Also ein Waschweib?“ Bartikowski nimmt so was mit Humor, erklärt lieber in Ruhe, dass „ich nicht mit dem Waschbrett am Fluss stehe und Wäsche rubbele, sondern dass ich in einem abwechslungsreichen und modernen Industrieberuf arbeite“. Zugleich bekommt er auch viel positives Feedback: „Wer handwerklich arbeitet, weiß ja in der Regel, wer seine Arbeitskleidung reinigt.“ Sollte man vielleicht den Berufsnamen „Textilreiniger“ ändern? Bartikowski überlegt. „Ich weiß nicht, ob das die Lösung ist, aber klar, im Prinzip sind wir eher Verfahrenstechnologen für die professionelle Textilpflege.“ Fest steht für ihn auf jeden Fall: Die Begeisterung für den Beruf des Textilreinigers gehört noch mehr ins Rampenlicht. Aber wie?
„So hatte ich mir eine Wäscherei nicht vorgestellt“
Er erinnert sich an eine Online-Betriebsführung per Video, die die IHK während der Corona-Pandemie organisiert hat. „Da ist jemand von uns mit einer Kamera hier durch die Wäscherei gelaufen und hat einfach drauf los erzählt, was wir hier so machen.“ Mit überraschendem Erfolg: Kurz darauf bewirbt sich ein junger Mann im Betrieb, der den Online-Rundgang gesehen hat. Er absolviert später eine Ausbildung bei Marwitz. Auch einen Kumpel kann Bartikowski für die Textilpflege begeistern. „Er war ähnlich planlos wie ich“, sagt der junge Betriebsleiter und lacht. Nachdem er dem Freund die Wäscherei gezeigt hat, macht dieser ebenfalls eine Ausbildung zum Textilreiniger bei Marwitz.
 
        Bartikowski ist deshalb fest überzeugt: „Je mehr man die Prozesse sieht und versteht, die in einer Wäscherei ablaufen – nicht nur die Maschinen, das ganze Drumherum –, desto mehr ist man von der Branche überzeugt.“ Darum lädt er alle, die sich bei Marwitz bewerben, zu einem Probearbeitstag ein. „Wir sagen: ‚Komm vorbei, schau dir alles an, lern die Leute kennen und entscheide dann, ob dir das liegt.‘“ Seine Erfahrung damit? „Alle, mit denen wir das machen, sagen am Ende: ‚So habe ich mir eine Wäscherei nicht vorgestellt.‘“ Und Bartikowski? Auch er habe sich nie vorstellen können, einmal Betriebsleiter in einer Wäscherei zu werden. „Manchmal denke ich: Der planlose Typ von damals würde es nicht glauben.“ Dann muss er auflegen. Eine Waschanlage streikt und ein Techniker ist nicht zu erreichen – wieder eines von 5.000 Dingen, in die er sich reinfuchsen kann.
W. Marwitz Textilpflege
 
        Die 1823 als Tuchfabrik in Ratzeburg gegründete Wäscherei W. Marwitz Textilpflege ist ein inhabergeführtes Familienunternehmen für Mietberufsbekleidung und textile Dienstleistungen mit Sitz in Lüneburg. Seit 1972 ist das Unternehmen Teil des bundesweiten DBL-Verbunds, einem Zusammenschluss von aktuell 24 mittelständischen Textilpflegefirmen mit Standorten in ganz Deutschland. Mit rund 150 Beschäftigten versorgt W. Marwitz Textilpflege etwa 2.700 Kunden von Lüneburg und Bremerhaven bis Soltau und Stendal. Zu den Kunden zählen Bäckereien, Handwerksbetriebe, Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe, Rettungsdienste sowie Gesundheits- und Industrieunternehmen. Täglich gehen etwa 80.000 Berufsbekleidungsteile durch die Wäscherei.
 
        
     
         
         
         
         
        